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  • AutorenbildRiccarda Schmid

Klimaneutral - was steckt dahinter?

«Dieses Produkt ist klimaneutral», «Wir kompensieren unsere Emissionen» – solche Aussagen sind heutzutage allgegenwärtig. Auf den ersten Blick klingen sie grossartig. Doch was steckt dahinter? Dieser Blogbeitrag nimmt Klimaneutralität genauer unter die Lupe und zeigt auf, wo Vorsicht und ein kritischer Blick gefragt sind und wie ein Unternehmen Klimaschutz richtig macht.



Warum ist der Begriff «klimaneutral» problematisch?


«Klimaneutral » wird heute unterschiedlich verwendet und verstanden. Der Begriff impliziert grundsätzlich, dass das klimaneutrale Unternehmen oder die Produkte mit ihrer Existenz, ihrer Produktion, ihrer Tätigkeiten das Klima nicht negativ beeinflussen. Wirtschaften, ohne Emissionen zu verursachen ist aber kaum möglich. Bezeichnet sich ein Unternehmen selbst oder seine Produkte als «klimaneutral», bedeutet das lediglich, dass verursachte Emissionen durch den Kauf von Zertifikaten kompensiert werden. Verstanden wird dieser Begriff von einer Mehrheit der Konsument:innen ganz anders. Diverse Studien und Umfragen haben bestätigt, dass der Begriff oft missverstanden wird und somit irreführend für Konsument:innen ist (siehe z.B. dieser Beitrag). In der Regel wird davon ausgegangen, dass die Emissionen des Unternehmens bzw. der Produkte reduziert wurden.


Wenig überraschend also, dass in der Schweiz, und auch in anderen Ländern, der Konsumentenschutz aktiv wird und wegen Greenwashing Beschwerden gegen Unternehmen eingereicht hat. Weitere Infos dazu hier.



Was sind die Probleme der CO2-Kompensation?


Neben den Problemen des Begriffes «Klimaneutralität», hat die CO2-Kompensation noch viele weitere Probleme:


  • Falsche Anreize: Anstatt Emissionen einzusparen, werden CO2-Zertifikate gekauft. Es gibt in der Regel keinerlei Verpflichtungen, dass die eigenen Emissionen reduziert werden müssen, um sich Klimaneutralität auf die Stirn zu schreiben. Es werden lediglich CO2-Zertifikate gekauft.

  • Auf dem Markt herrscht grosser Preisdruck, da viele Unternehmen Zertifikate zum tiefst möglichen Preis kaufen möchten. Anbieter fühlen sich gedrängt, möglichst viele Zertifikate zu generieren. Das hat Auswirkungen auf die Qualität der Projekte.

  • Die Zertifikate können zwar leicht erworben werden, sie sind aber oft intransparent und halten nicht, was sie versprechen (siehe z.B. dieser SRF-Beitrag zu einer ETH Studie, dieser The Guardian-Artikel oder dieser Beitrag der Carbon Market Watch). Die Emissionsreduktion oder -vermeidung steht auf dem Papier, in der Realität passiert sie jedoch oft nicht.

  • Die wichtigsten Ursachen für die Qualitätsprobleme sind:

    • Ãœberschätzte Referenzwerte (Inflated Baselines), welche eine Ausschüttung von zu vielen Zertifikaten zur Folge haben. Das passiert beispielsweise, wenn zu hohe Abholzungsraten verwendet werden. Die Differenz vom Zustand mit bzw. ohne Projekt wird falsch berechnet und führt so zur falschen Anzahl an Zertifikaten.

    • Vermiedene CO2-Emissionen an einem Ort können zu Emissionen an einem anderen Ort führen (Leakage). Auch das oft bei Projekten der vermiedenen Abholzung der Fall, wenn die Abholzung einfach an einem anderen Ort stattfindet.

    • Die CO2-Bindung oder Einsparung kann nicht ausreichend lang garantiert werden (Permanence). Die eingesparte Tonne CO2 kann nicht mit der ausgestossenen Tonne CO2 gleichgesetzt werden. Denn das ausgestossene CO2 bleibt für rund 1000 Jahre in der Atmosphäre. Kein Projekt kann die Emissionsvermeidung/-reduktion über diese Dauer garantieren.

    • Das Projekt wäre sowieso realisiert worden, weil andere Anreize gross genug sind (Additionality). Dies zum Beispiel der Fall bei Energieprojekten, welche ohnehin wirtschaftlich sind.

  • Gefahr der Doppelzählung, wenn sich das Land, in dem das Projekt stattfindet, die Reduktion anrechnet und der Käufer vom Zertifikat ebenso.


Aktuelle Entwicklungen weg von Klimaneutralität


Die Probleme sind erkannt und werden vermehrt öffentlich diskutiert. Der Druck auf Unternehmen steigt. Aktuell sind verschiedene Entwicklungen zu beobachten:


  • Zertifikatsanbieter kehren davon ab, «Klimaneutralität» zu versprechen (z.B. myclimate, climatePartner). Das ist ein wichtiger Schritt, um von irreführenden Claims wegzukommen, die Probleme und falschen Anreize des Kompensationsmechanismus sind mit einem neuen Begriff allein aber noch nicht gelöst.

  • Das Problem der irreführenden Claims wir auch von der gesetzgeberischen Seite angegangen. Beispielsweise hat die EU Kommission ein neues Gesetz vorgeschlagen, welches Begriffe wie «CO2-neutral» einschränken oder sogar verbieten will.

  • Im Rahmen von verschiedenen Initiativen gibt es zunehmend Bemühungen für mehr Transparenz und eine bessere Qualität der CO2-Zertifikate. Auch wenn diese Entwicklung nicht per se falsch ist, so reicht sie nicht um die systemischen Probleme der CO2-Kompensation zu lösen. Dazu braucht es neue Ansätze und ein anderes Mindset.


Der WWF schlägt als Lösung und Nachfolgemodell der CO2-Kompensation die Einführung des «Beitragsmodells» mit einer «Geld für Tonne»-Finanzierung vor. Dabei bepreist ein Unternehmen seine Emissionen, im Idealfall mit den Klimafolgekosten*, und finanziert mit diesem Betrag zusätzlichen Klimaschutz. Während bei der klassischen Kompensation («Tonne für Tonne»-Finanzierung), zwingend eine gewisse Anzahl an Zertifikaten gekauft werden muss, liegt im neuen Modell der Fokus auf dem Beitrag an globale Ziele und der systemischen Transformation. Da nicht zwingend eine gewisse Anzahl Zertifikate gekauft werden, rücken andere Projekte in den Fokus: ganzheitlich gedachte Projekte, Projekt mit regionalem Ansatz, Projekte mit positiver Wirkung für Mensch, Natur und Klima. Ausserdem können auch transformative Aktivitäten unterstützt werden, welche zentral sind, um die globalen Ziele zu erreichen. Eine detailliertere Erklärung des neuen Models und wie es sich von der CO2-Kompensation unterscheidet findest du hier.


*Klimafolgekosten sind die gesellschaftlichen Schadenskosten, welche die ausgestossene Emission in der Welt verursachen wird, zum Beispiel durch Extremereignisse oder Ernteausfälle. Weitere Infos hier.


Tipps: Wie mache ich es richtig?


Als Teil eines KMUs, eines Start-Ups, einer Initiative oder einer anderen Organisation, welche sich für eine ressourcenschonende und nachhaltige Zukunft einsetzt, fragst du dich vielleicht: «Was nun?». Aufgrund der zahlreichen Probleme, die die CO2-Kompensation mit sich bringt, raten viele Umweltschutzorganisationen davon ab (siehe z.B. die Position vom Climate Action Network, einem Zusammenschluss von über 1800 Organisation der Zivilgesellschaft aus über 100 Länder). Anstatt die eigenen Tätigkeiten als klimaneutral zu labeln soll die Absicht sein, die eigenen Emissionen massiv zu reduzieren und darüber hinaus zu den globalen Klimazielen beizutragen. Hier ein paar konkrete Tipps:


  • Seid euch im Klaren, welche Emissionen ihr verursacht. Stellt sicher, dass ihr diese Frage ganzheitlich angeht und euren gesamten Tätigkeitsbereich sowie die gesamte Wertschöpfungskette berücksichtigt.

  • Nutzt wissenschaftsbasierte Reduktionspfade (z.B. von der SBTi) als Leitplanke für die Reduktion eurer Emissionen.

​Box: Science Based Targets Initiative Die Science Based Targets Initiative (SBTi) unterstützt Unternehmen bei der Definition ihrer Klimaziele. Wie der Name sagt, stehen diese Ziele im Einklang mit dem aktuellen Wissensstand der Forschung, was notwendig ist um das globale 1.5°C Ziel zu erreichen. Ganz konkret stellt die SBTi Zielsetzungsmethoden zur Verfügung und beurteilt und validiert Ziele, welche sich Unternehmen setzen. Bei der SBTi können near-term targets (Ziele mit Zeithorizont von maximal 10 Jahren) und long-term targets (Netto Null Ziele) validiert werden. Der Netto Null Standard verlangt eine Reduktion der Emissionen auf 5-10% verbleibende Emissionen, welche ab Erreichen vom Netto Null Zustand durch permanente «Carbon Removals» ausgeglichen werden müssen. Darüber hinaus empfiehlt der Netto Null Standard Klimaschutz ausserhalb der eigenen Wertschöpfungskette zu finanzieren (BVCM=beyond value chain mitigation). Infos findet man auf der Website der SBTi, inkl. ausführlichen FAQs.

  • Beteiligt euch an der Finanzierung von zusätzlichem Klimaschutz und tragt zum Erreichen der globalen Ziele bei. Das sollte losgelöst von Kompensations- und Neutralitätsclaims passieren und ohne Verrechnung mit der eigenen Bilanz ( «Geld für Tonne»-Finanzierung).

  • Engagiert euch auf allen Ebenen für Klimaschutz, sei es mit Kund:innen, Lieferant:innen, Mitarbeitenden, in politischen oder gesellschaftlichen Tätigkeiten, im Austausch in eurer Branche, etc.

  • Seid transparent und ehrlich in eurer Kommunikation. Fokussiert euch auf Emissionsreduktionen des eigenen Unternehmens und vermeidet irreführende Begriffe wie «klimaneutral».


Als Hilfestellung dafür, wie eine effektive und glaubwürdige Klimastrategie aussieht, empfehlen wir euch den «Fit für Paris» Leitfaden vom WWF.



Portrait von Expertin Lene Petersen

Dieser Artikel wurde mit fachlichem Input von Lene Petersen, Expertin für Klima und Wirtschaft beim WWF Schweiz, geschrieben.



Quellen & weitere Ressourcen


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