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  • Lilla Gurtner & Stephanie Moser

Wohin, wie und mit wem in eine bessere Zukunft?


Rethink Now Header (Stephanie Moser)

Aus der Transformationsforschung gibt es konkrete Vorschläge, wohin wir uns als Menschheit entwickeln sollten, welche Mechanismen uns dorthin bringen können, und wer auf dem Weg eine tragende Rolle spielen kann. Den gesellschaftlichen Wandel können wir beschleunigen, indem vermehrt psychologisches Wissen in die Transformationsforschung mit einbezogen wird. 

 

Psychologisches Wissen könnte eine gesellschaftliche Transformation in eine nachhaltigere Zukunft voranbringen


Vor Kurzen haben wir einen wissenschaftlichen Diskussionsbeitrag veröffentlicht, in dem wir darüber nachdenken, wie psychologisches Wissen den gesellschaftlichen Wandel Richtung Nachhaltigkeit unterstützen und beschleunigen kann. Dabei betrachten wir nicht nur wohin die Reise gehen könnte (Zielwissen), sondern auch den Weg dorthin (Transformationswissen) und die Akteurinnen und Akteure, die eine tragende Rolle spielen können (vgl. Abbildung I).

Wohin, wie und mit wem? Wissenslücken, auf welche die psychologische Forschung Antworten liefern könnte
Abbildung I: Wohin, wie und mit wem? Wissenslücken, auf welche die psychologische Forschung Antworten liefern könnte (aus Gurtner & Moser, 2023, eigene Übersetzung). Dieser Artikel wurde publizier in Journal of Environmental Psychology, Volume 94, Lilla Gurtner & Stephanie Moser , The where, how, and who of mitigating climate change: A targeted research agenda for psychology, 102250, Copyright Elsevier (2024)

Wohin soll die Reise gehen?


In Punkto „Ziel“ ist ein faszinierendes Konzept aus der Post-Wachstums-Diskussion die Doughnut-Ökonomie, die eine "sichere Zone" definiert, in der sowohl die Grundbedürfnisse aller Menschen befriedigt sind als auch keine planetaren Grenzen (z.B. Biodiversitätsverlust, Übersäuerung der Ozeane, Klimawandel) überschritten werden.


Psychologie kann hier aufzeigen, was Menschen für ihr Wohlbefinden benötigen (innere Grenze der „sicheren Zone“), aber auch, wie Menschen zu suffizienterem Verhalten im Sinne eines guten, aber ressourcenleichten Lebens bewegt werden können (äussere Grenze der „sicheren Zone“) und wie man Mehrheiten für entsprechende Politik gewinnen könnte.


Wie kommen wir zum Ziel?


Auf dem Weg zu dieser «sicheren Zone» können wir uns von Ideen aus der Systemanalyse leiten lassen. Wie Ökosysteme können auch menschliche Gesellschaften an Kipppunkte gelangen, die schwer rückgängig zu machen sind, und zu Veränderungen hin zu mehr Nachhaltigkeit führen können. Forschende haben sechs solche sozialen Kipppunkte identifiziert, die das Ziel unterstützten, die weltweiten Treibhausgas-Emissionen bis 2050 auf null zu senken. Diese Kippunkte reichen von Veränderungen im Finanzmarkt, dem Bausektor und dem Energiesektor bis hin zu Bildung, Transparenz, Werten und Normen. Ein solcher Kipppunkt ist zum Beispiel der Preis für erneuerbare Energie: Lange war erneuerbarer Strom teurer als Strom aus fossilen Quellen, also z.B. aus Erdgas- oder Kohlekraftwerken. Mittlerweile ist der Preis für Solarzellen aber dermassen gefallen, dass Strom aus Solaranlagen nun billiger als Strom aus fossilen Brennstoffen. Damit kann die Energiewende zum Selbstläufer werden (weil ökonomisch rentabel) und diesen Trend umzukehren ist sehr schwer. Das Energie-System ist also „gekippt“ in einen neuen Zustand, in dem Strom aus erneuerbaren Quellen der Standard werden kann.


Erfreulicherweise zeigen sich bereits heute auch in anderen Bereichen als dem Strom Veränderungen in die richtige Richtung: Der Klimawandel ist kein Nischen-Thema mehr sondern ist im Mainstream angekommen und Nachhaltigkeitsberichte und Labels über den CO2-Ausstoss von Produkten setzen sich immer mehr durch. „Alles Greenwashing“ mag man sagen, und hat damit sicherlich teilweise recht. Greenwashing zeigt aber auch, dass sogar Konzerne wie BP dem Druck unterliegen, zumindest nachhaltig zu wirken, dass sich also Normen verändern, hin zu mehr Nachhaltigkeit.



Wer muss eine tragende Rolle spielen?


Für diese gesellschaftlichen Veränderungen spielen aus unserer Sicht vor allem drei Bevölkerungsgruppen eine entscheidende Rolle: Wohlhabende, die Generation von 1946 -1964 und Aktivistinnen und Aktivisten. Wohlhabende tragen einerseits durch ihren ressourcenintensiven Lebensstil, andererseits durch ihre Entscheidungen in den von ihnen besetzten Machtpositionen massgeblich zum Klimawandel bei. Die Generation von 1946 bis 1964 hat in der Schweiz politisch ein starkes Gewicht und kann daher grossen Einfluss auf Entscheidungen zugunsten der Umwelt ausüben. Aktivistinnen und Aktivisten wiederum sorgen dafür, dass das Thema Klimawandel präsent bleibt und politischer Druck aufgebaut wird.


Gemeinsam können diese Gruppen die Gesellschaft von oben und von unten verändern und so zu einem Gesellschaftswandel beitragen. Die Psychologie kann hier helfen, besser zu verstehen, was diese drei Gruppen bewegt, motiviert und unterstützt, um Strategien zu entwickeln, um Wohlhabende für Nachhaltigkeit zu gewinnen, das Potenzial der älteren Generation zu nutzen und Aktivistinnen und Aktivisten vor Burn-out zu schützen.


Neue Fragen für die psychologische und die Transformationsforschung


Wenn wir Erkenntnisse aus der Psychologie stärker in die Transformationsforschung integrieren, können wir den Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit beschleunigen. Die umweltpsychologische Forschung hat sich bisher jedoch vornehmlich auf Fragen individuellen umweltfreundlichen Verhaltens fokussiert. Wir finden deshalb, dass auch die umweltpsychologische Forschung weitergedacht werden muss und die Fragen des «Wohin», «wie» und «mit wem» stärker in den Fokus zu rücken. Wir hoffen, dass unsere Vorschläge in der psychologischen Forschungscommunity aufgegriffen werden und wir bald erste Antworten haben, die ihrerseits wiederum von der Transformationsforschung aufgegriffen werden können.

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