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  • AutorenbildIon Karagounis

Führt mehr Gleichheit zu weniger Umweltzerstörung?


Header Rethink-Serie von Ion Karagounis

Erst seit wenigen Jahren steht die Forderung nach mehr Klimagerechtigkeit (Climate justice) im Raum, wenn es darum geht, Wege aus der Klimakrise zu finden (Definitionen siehe hier und hier). Doch das Verständnis für Klimagerechtigkeit ist noch lange nicht im Mainstream angekommen. Wer sich vor allem mit technischen Lösungen befasst, um einen Beitrag an den Klimaschutz zu leisten, wird es zudem kaum als notwendig erachten, sich mit Fragen der Gerechtigkeit und des globalen Ungleichgewichts auseinanderzusetzen.


Doch verpassen wir nicht eine Chance, wenn wir die Zusammenhänge zwischen Klimakrise und Ungleichgewicht ausser Acht lassen? Dass es Zusammenhänge gibt, ist naheliegend.


Offensichtlich ist: Am stärksten betroffen von der Klimakrise sind – vorerst noch – die Menschen, die im globalen Süden leben. Nicht nur zeigen sich die konkreten Auswirkungen (steigende Meeresspiegel, Dürren, Unwetterkatastrophen) stärker, nein, sie haben auch weniger oder gar keine Mittel für die Prävention oder die Behebung von Schäden. Länder im globalen Norden sind zwar auch zunehmend von Extremwetterereignissen betroffen, verfügen aber noch über genügend Mittel, um sich dagegen zu wehren.


Aus ethischer Sicht und aus einer Gerechtigkeitsperspektive heraus gibt es hier nichts zu diskutieren: Hauptverantwortlich für die Klimakrise sind die Staaten des Nordens, also sollen sie den Hauptteil zur Bewältigung beitragen. Sie müssen diejenigen unterstützen, die am stärksten von der Klimakrise betroffen sind und es sich nicht leisten können, die notwendigen Gegenmassnahmen zu ergreifen. Die seit Jahren heiss diskutierte Frage ist dabei: Wer hat wie viel zu bezahlen? Eine klare Antwort gibt es nicht, insbesondere, weil die Länder des globalen Südens am Aufholen sind und unterdessen mengenmässig am meisten Treibhausgase ausstossen (China). Auch an der nächsten Klimakonferenz in Dubai im Dezember wird weiter um Lösungen gerungen werden.


Doch die Folgerung ist klar: Nur wenn der globale Süden gestützt und die Staaten und Menschen sich wirtschaftlich entwickeln können, haben sie auch eine Chance, Massnahmen gegen den Klimakrise zu ergreifen und sich gegen ihre Folgen zu wappnen.


Interessant ist nun die Frage, ob der Zusammenhang auch in die andere Richtung gegeben ist: Würde ein verringertes soziales Ungleichgewicht und ein geringeres Machtgefälle zwischen Süden und Norden dazu führen, dass wir Menschen der Natur mehr Sorge tragen und damit aus der Klima- und Biodiversitäskrise finden? Oder, pointierter als These formuliert: Wir werden nur dann einen Weg aus der Klimakrise finden, wenn wir global gesehen für mehr sozialen Ausgleich und ein geringeres Machtgefälle sorgen. Diese These hat der WWF auch in seinem 2021 veröffentlichten Whitepaper «Wege zu einer Wirtschaft innerhalb der planetaren Grenzen» vertreten, ohne sie allerdings näher zu begründen (Handlungsfelder 4 und 5, Seiten 8 und 9).


Ein Blick in die Vergangenheit könnte die These stärken: Die Kolonialisierung des globalen Südens und später die Globalisierung – ohne die die enorme wirtschaftliche Entwicklung des globalen Nordens nicht möglich gewesen wäre – haben zu einem Raubbau an unseren natürlichen Ressourcen und zu enormen Belastungen durch übermässige Emissionen geführt. Doch ist der Umkehrschluss gerechtfertigt? Wäre die Umweltzerstörung ausgeblieben, wenn es die Kolonialisierung nicht gegeben hätte?


Für die Annahme spricht: Wer – eine Gemeinschaft, eine Region, ein Land oder auch einzelne Menschen – aus einer Position der Gleichheit oder der Stärke heraus über seine eigenen lokalen Ressourcen bestimmen kann, schützt sie, weil er ein Interesse an ihrem Erhalt hat. Wer jedoch von anderen abhängig ist, muss seine Ressourcen freigeben, selbst wenn das den eigenen Interessen zuwiderläuft. Sehr deutlich zeigt sich das bei den heute stark verschuldeten Ländern des Südens: Um ihre Schulden bedienen zu können, vergeben sie Konzessionen zur Nutzung ihrer Rohstoffe an grosse Konzerne. So hat der internationale Währungsfonds IWF Nigeria mehrmals dazu aufgefordert, seine Ölförderung auszuweiten, um damit Schulden bezahlen zu können (Quelle: DEBT FOR CLIMATE!). Durch diese Abhängigkeit wird die Klimakrise direkt gefördert.


Andererseits: Umweltzerstörung gibt es auch in den entwickelten Ländern, und zwar nicht wenig. Der Fortschritt in diesen Ländern hat es zwar ermöglicht, gewisse Schäden wieder zu reparieren (Gewässerverschmutzung, Luftverschmutzung). In anderen Bereichen geht sie jedoch weiter: Wir verlieren Boden und Biodiversität. Das sind diejenigen Umweltgüter, die sich durch technische Massnahmen nicht schützen lassen, sondern nur durch einen Nutzungsverzicht. Ob wir willens sind, diesen Verzicht auf die lange Sich zu leisten, ist völlig offen. Unser Wirtschaftssystem, das auf Wachstum, tiefe Kosten und Gewinne (zulasten anderer) ausgerichtet ist, steht dem heute im Wege.


Ein klares JA oder NEIN zur These scheint es zurzeit noch nicht zu geben. Mein Fazit: Erstens: Die Verringerung von Ungleichheit kann dazu beitragen, die Klimakrise und die Umweltzerstörung in den Griff zu kriegen. Zweitens: Für eine dauerhafte Verbesserung braucht es jedoch viel mehr, insbesondere Rahmenbedingungen, die den Trend zu immer mehr und immer schneller in unserem heutigen Wirtschaftssystem brechen.


PS: Ach ja, die gerne zitierte Kuznets-Kurve sollte hier ebenfalls noch erwähnt werden. Sie besagt: Wenn sich ein Land entwickelt, nimmt die Umweltbelastung vorerst zu, ab einem gewissen Entwicklungsniveau aber nimmt die Belastung wieder ab, weil das Land aufgrund des höheren Wohlstands fähig ist, die entstandenen Schäden zu reparieren. Bezogen auf einzelne Länder mag dies stimmen. Die CO2-Emissionen in der Schweiz beispielsweise nehmen ab, obwohl unsere Wirtschaftsleistung steigt. Nicht berücksichtigt dabei sind jedoch die Umweltschäden, die an anderen Orten der Welt entstehen, um unseren Wohlstand in der Schweiz zu ermöglichen. Aus globaler Sicht gibt es bis heute kein Indiz, dass die Kuznets-Kurve zutreffen könnte.


PPS: Die Frage nach dem sozialen Ungleichgewicht respektive nach der sozialen Tragbarkeit von Massnahmen zum Schutz der Umwelt stellt sich nicht nur auf globaler Ebene, sondern auch innerhalb einzelner Länder. Siehe dazu den Rethink-Blog vom Mai 2023: «Wer die soziale Frage nicht mitdenkt, wird scheitern»


Der nächste Blogbeitrag wird im Januar 2024 erscheinen.


Lesehinweis: Fragen der Gerechtigkeit und des globalen Ungleichgewichts kommen auch im Roman «Was wir hinterlassen» des Autors zur Sprache.


Alle bisherigen Rethink Now-Blogbeiträge findest du hier.

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