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  • AutorenbildIon Karagounis

Rethink Now Serie: Wer die soziale Frage nicht mitdenkt, wird scheitern


Ion Karagounis from WWF Switzerland

«Mehrkosten Energie von jährlich 6600 Franken pro Person! Nur noch Reiche können sich das Autofahren, eine genügend geheizte Wohnung oder ein Wochenende in Paris leisten.» So lauten die Argumente im SVP-Extrablatt gegen das Klimagesetz, über das wir Mitte Juni abstimmen werden. Sie landen hundertausendfach in unseren Briefkästen. Wahrer werden sie dadurch nicht. Ähnlich tönte es bei früheren Abstimmungen zu Umwelt- und Energiefragen, so beim Energiegesetz 2017 (3200 Franken mehr bezahlen und erst noch kalt duschen) oder beim CO2-Gesetz 2021. Das Muster hinter diesen unwahren Behauptungen wiederholt sich: Unbezahlbar. Derart hohe Mehrkosten können dem kleinen Bürger nicht zugemutet werden. Das mag nach Panikmache tönen und durchschaubar sein (siehe auch https://klimaschutzgesetz-ja.ch/fragen-und-antworten/). Doch selbst wenn die Sorgen aus parteitaktischem Kalkül vorgeschoben werden: Fakt ist, dass die Frage der Kosten und die sozialen Auswirkungen bei vielen Umweltvorlagen zumindest mitentscheidet.


Natürlich, in einem Abstimmungskampf geht es um alles oder nichts. Zwischentöne haben hier wenig Platz. Trotzdem sollten umweltfreundlich gesinnte Parteien etwas daraus lernen: Wer sich in Zukunft für Umweltanliegen stark machen will, muss die Kosten und die soziale Frage im Auge behalten, sonst wird er immer wieder scheitern. Mit Umweltargumenten allein gewinnt man keine Umweltabstimmung. Statt immer mehr Argumente für den Klimaschutz ins Feld zu führen, braucht es Antworten auf die Tragbarkeit der Kosten, sonst bleibt diese Flanke offen und lädt immer wieder zum Angriff ein.


Dabei gibt es einige harte Nüsse zu knacken. Was Bürgerinnen und Bürgern zugemutet werden kann an Kosten, ist nicht einfach zu beantworten. Zwei Aspekte scheinen mir besonders relevant:


Umweltschutz darf nicht gratis sein


Der Staat – wir alle – soll für den Umweltschutz bezahlen: Das tönt im ersten Moment für viele verlockend. Damit wird erwünschtes Verhalten belohnt, und dank dem Solidaritätsprinzip ist es auch für wenig verdienende Menschen erschwinglich. In anderen Bereichen funktioniert das gut: Wir wollen, dass sich die Menschen bilden, also ist die Schule kostenlos bis zum neunten Schuljahr. Wir wollen, dass die Menschen ihrer Gesundheit Sorge tragen, folglich übernimmt der Staat einen Teil der Gesundheitskosten, insbesondere für Präventionsmassnahmen.


Beim Umweltschutz funktioniert diese Logik nur teilweise. Umweltschutz bedeutet eben auch, Dinge nicht zu tun: Wenig oder gar keine Energie zu verbrauchen, wenig oder gar keine Abfälle und Abwasser zu hinterlassen. Wenn wir erneuerbare Energien subventionieren, führt dies letztlich zu einer Verbilligung der Energie. Damit fallen die Anreize weg, Energie effizient und sparsam zu nutzen. Viel besser wäre es, fossile Energieträger stärker zu besteuern, damit sie teurer werden und schneller verschwinden.


Letztlich brauchen wir eine kluge Balance zwischen Instrumenten, die umweltfreundliches Verhalten (finanziell) fördern, gleichzeitig aber auch solche, die genügend Sparanreize setzen.


Abfederung muss über Steuer- und Sozialpolitik erfolgen


Was aber soll passieren, wenn sich einzelne Menschen ihren Grundbedarf nicht mehr leisten können? Wenn höhere Krankenkassenprämien, steigende Lebensmittelpreise und jetzt auch noch steigende Energiekosten immer stärker aufs Portemonnaie drücken? Die Energiekosten oder andere verursachergerechte Gebühren zu senken, ist aus Umweltsicht der falsche Weg. Dafür gibt es die Steuerpolitik. Sie dient dazu, einen Ausgleich zwischen arm und reich zu schaffen; wenn langfristig immer mehr Menschen Mühe haben, ihren Grundbedarf zu finanzieren, dann müssen die Steuerfaktoren angepasst werden. Darüber hinaus gibt es für einzelne Not- und Härtefälle das gut ausgebaute Sozialsystem.


Denkbar sind zudem progressive Preissysteme. Der Grundbedarf an Energie und Wasser wird billig zur Verfügung gestellt, wer mehr verbraucht, hat einen höheren Tarif zu bezahlen. Das ist nichts neues, wir kennen dieses System bereits bei den Steuern.


Mein Fazit: Erstens: Tief greifende Massnahmen zum Schutz der Umwelt drohen an der Urne zu scheitern, wenn sie die sozialen Konsequenzen nicht berücksichtigen. Zweitens: Umweltschutz darf nicht gratis sein – wo er zu unzumutbar hohen Kosten führt, muss der Ausgleich über die Steuer- und Sozialpolitik erfolgen.


Der nächste Blogbeitrag wird sich mit Mittelbeschaffung und rechtlichen Rahmenbedingungen befassen und von Stephanie Moser und Christoph Bader vom Zentrum für Entwicklung und Umwelt der Universität Bern geschrieben. Er wird im Juli 2023 erscheinen.


Lesetipp: Im neuen Roman «Was wir hinterlassen» von Ion Karagounis streiten sich die Protagonisten über die Konsumgesellschaft, die Klimakrise und die vielen anderen Probleme, mit denen sich die Menschen gerade herumschlagen.



Bis jetzt erschienen im Rethink-Blog:

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