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Rethink Now Serie: Was ist besser - Eigeninitiative oder staatliche Vorgaben?


Rethink Now von Ion Karagounis

In schöner Regelmässigkeit taucht die Frage auf: An wem liegt es eigentlich, für die Umwelt zu sorgen und entsprechende Schutzmassnahmen umzusetzen? An jedem Einzelnen von uns, an der Wirtschaft und den Unternehmen oder an der öffentlichen Hand und der Politik?


Die Antwort lässt meist auf die politische Orientierung der antwortenden Person schliessen. Bürgerlich gesinnte Kreise setzen eher auf die Verantwortung des Individuums und der Unternehmen, während links gerichtete den Staat in der Pflicht sehen.


Aus Umweltsicht gibt es nur eine Antwort: Es braucht alle Akteure. Aber: Jeder dieser Akteure hat eine bestimmte Rolle, die er selbst am besten ausfüllen kann. Und andere Aufgaben sollte man ihm besser nicht zuteilen, weil das sonst schief geht oder wenig wirksam ist.

Welche Rolle für wen?


Aufgabe der Politik ist es, die Rahmenbedingungen zu setzen, und zwar derart, dass umweltfreundliches Handeln unterstützt und umweltschädliches Handeln reduziert oder am besten ganz unterlassen wird. Dazu zählen die klassischen Ge- und Verbote wie Emissionsgrenzwerte, aber auch finanzielle Steuerungsinstrumente. Dazu ein Beispiel: In der Schweiz gibt es rund 160 verschiedene Arten von Subventionen, die zu Tätigkeiten führen, die die Natur und Biodiversität schädigen. Mit einer Reduktion dieser Subventionen – etwa in der Landwirtschaft – könnte enorm viel für den Erhalt der Biodiversität getan werden.


Die Öffentliche Hand (Verwaltung) kann die Rolle der Vorreiterin einnehmen. Sie hat eine so grosse wirtschaftliche Macht, dass sie aktiv Veränderungen bewirken kann. So beschafft die öffentliche Hand in der Schweiz für jährlich rund 40 Milliarden Franken Güter wie Bauten oder Fahrzeuge. Das entspricht 5 Prozent des Schweizerischen Bruttoinlandprodukts BIP.


Jedes Produkt, das wir konsumieren, geht früher oder später durch die Hände eines Unternehmens. Somit liegt es auf der Hand, dass Unternehmen die Hauptverantwortung dafür tragen, wie umweltfreundlich oder -schädlich etwas produziert wird. «Wir machen nur das, was die Kunden verlangen», ist lediglich eine Ausrede, um sich vor der Verantwortung zu drücken. An den Unternehmen liegt es auch, zusammen mit der Forschung, neue und umweltfreundliche Techniken und Prozesse zu entwickeln und diese zur Produktionsreife zu bringen.


Dem Individuum kommt eine zentrale Rolle zu, denn das Funktionieren unserer Gesellschaft und Wirtschaft basieren auf der Initiative von Individuen. Ob in einem Unternehmen oder in der Politik: Es sind immer Individuen oder Gruppen von Individuen (eine Geschäftsleitung, ein Parlament), die täglich darüber entscheiden, wie umweltfreundlich oder -schädlich ihr Unternehmen oder die Politik handelt. Darüber hinaus erzeugen Individuen Druck auf die Wirtschaft und Politik, ihr Angebot und Verhalten zu verändern: über Volksabstimmungen, über Demonstrationen oder auch als Konsumierende (kaum ein Restaurant kann es sich heute noch leisten, nur Fleischgerichte anzubieten).


Trotzdem darf die direkte Wirkung des Handelns von Individuen nicht überschätzt werden. Sie kommt sehr schnell an ihre Grenzen. Damit kommen wir zur – viel interessanteren – Frage, welche Rollenzuordnungen nicht funktionieren, und vor allem, warum sie nicht funktionieren.

Was alles nicht funktioniert


Ein Individuum kann nur einen kleinen Teil der Umweltbelastung, das es auslöst, durch eigene Verhaltensänderungen senken. Eine Untersuchung aus dem Jahr 2019 aus Frankreich zeigte, dass individuelle Verhaltensänderungen nur etwa einen Viertel zur Reduktion des Ausstosses von klimawirksamen Gasen beitragen können, die bis 2050 notwendig ist. Der viel grössere Teil der Reduktion, drei Viertel, erfolgt über Aktionen der Wirtschaft oder des Staates, wie die Dekarbonisierung der Industrie oder der Landwirtschaft.


Zudem gibt es viele Gründe, die Individuen davon abhalten, das theoretisch vorhandene Potenzial überhaupt zu nutzen. Dazu zählen falsch gesetzte finanzielle Anreize (Bionahrungsmittel sind teurer als konventionell produzierte) oder ein übermässiger Aufwand, um sich ökologisch zu verhalten (es ist viel einfacher, über das Internet ein Flugticket von Zürich nach London zu buchen als ein Zugticket). Fehlende Verbindlichkeit ist ein weiterer Punkt. Es fällt jemandem einfacher etwas zu tun, wenn andere es auch müssen. Die Corona-Pandemie zeigte dies deutlich. Als in der Anfangsphase das Tragen einer Maske lediglich empfohlen wurde, trug kaum jemand eine. Als es Pflicht wurde, kippte das Bild innert Tagen.


Bei allem Einsehen für die Notwendigkeit von Massnahmen zu Gunsten der Umwelt: Für die meisten Unternehmen sind die Kosten nach wie vor der zentrale Punkt, an dem sie ihre Entscheidungen ausrichten. Der Konkurrenzdruck zwingt sie dazu. Unternehmen werden nur dann umweltfreundlich handeln, wenn sie dadurch Kosten senken können, oder wenn sie durch klare Ge- und Verbote dazu gezwungen werden. Dies ruft nach klaren politischen Vorgaben. Wenn jedoch die Einführung strengerer Vorgaben (wie zum Beispiel die Einführung oder Erhöhung von Umweltabgaben) immer wieder politisch verzögert oder verwässert wird, fehlt es an Planungssicherheit für Unternehmen, und sie werden darauf verzichten, neue Massnahmen zugunsten der Umwelt zu ergreifen.


Das bisher gesagte ruft nach einer starken Rolle des Gesetzgebers, also der Verwaltung und der Politik – doch auch hier lauern die Fallstricke. Wenn der Staat zu stark reguliert, beschneidet er damit private Initiative und Innovationsfreudigkeit. Eine goldene Regel: Der Staat soll Zielvorgaben machen, nicht aber vorschreiben, mit welchen Methoden ein Ziel erreicht werden soll (weitere Regeln habe ich in einem früheren Beitrag formuliert).

Das Paradox von Effizienz und Akzeptanz von Massnahmen


Erschwerend kommt hinzu, dass die Politik ein denkbar schwacher Akteur ist. Sie ist dem Paradox von Effizienz und Akzeptanz ausgeliefert: Je weniger wirksam und je weniger verbindlich eine Massnahme ist, desto breiter wird sie akzeptiert. Kaum jemand wehrt sich gegen Kampagnen für das Energiesparen oder für das separate Sammeln von Batterien. Sie kosten wenig und man kann sie ignorieren, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Am anderen Ende der Skala stehen die marktwirtschaftlichen Instrumente, wie zum Beispiel die CO2-Abgabe auf Brenn- und Treibstoffe. Sie sind äusserst wirksam – theoretisch bestreitet das niemand. Doch nur wenige Länder konnten sich bis heute politisch zu einer Einführung durchringen. Wo dies trotzdem geschah, sind die gewählten Ansätze der Abgaben so tief, dass das niemandem wirklich wehtut. Die erhoffte schnelle Abkehr vom CO2-Ausstoss lässt somit auf sich warten. Die Schweiz kennt zwar seit langem eine CO2-Abgabe mit durchaus beachtlichen Ansätzen – aber nach wie vor ist der ganze motorisierte Verkehr davon ausgenommen, weil die politische Akzeptanz dafür fehlt.


Mein Fazit: Erstens: Der Schutz von Biodiversität und des Klimas ist eine kollektive Aufgabe, so wie die Sicherung der Altersvorsorge oder die Bildung. Sie kann nicht allein dem Individuum übertragen werden. Zweitens: Private und unternehmerische Initiative ist wichtig, wenn es darum geht, Massnahmen zu entwickeln und umzusetzen. Die Aufgabe der Politik ist es, die Rahmenbedingungen so auszugestalten, dass umweltfreundliches Handeln von Privaten und von Unternehmen gefördert und nicht behindert wird.


Der nächste Blogbeitrag wird sich mit der Frage befassen, wieso wir den sozialen Auswirkungen von Massnahmen für den Umweltschutz mehr Beachtung schenken sollten.



Kommentare zu diesem Beitrag? Gerne an ion.karagounis@wwf.ch oder über https://www.linkedin.com/in/ion-karagounis-1a623a173/


Bis jetzt erschienen im Rethink-Blog:

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