top of page
  • AutorenbildIon Karagounis

Rethink Now Serie: Wo liegen sie genau, die planetaren Grenzen?



Wo liegen sie genau, die planetaren Grenzen?

Vor etwas mehr als zehn Jahren wurde das Konzept der planetaren Grenzen zum ersten Mal der Öffentlichkeit vorgestellt. Entwickelt wurde es von Wissenschafter:innen am Stockholmer Zentrum für Resilienz. Die Idee dahinter: Für weltweit wichtige Umweltressourcen werden die Belastungsgrenzen aufgezeigt. Überschreiten wir diese dauerhaft, dann ist das Überleben der Menschheit langfristig gefährdet. Zu den weltweit wichtigsten Bedrohungen zählen die Übernutzung der Süsswasservorräte, der übermässige Ausstoss von Treibhausgasen, die Versauerung der Ozeane oder die Abholzung von Wäldern und der Verlust von natürlichen Lebensräumen. Insgesamt beinhaltet das Konzept neun Grenzen.

Wieso ist das Konzept so wichtig? Es versucht, die Diskussion zu versachlichen zwischen den beiden Extremen – jenen, die behaupten, dass die Wirtschaft grenzenlos wachsen könne, und jenen, die sagen, dass unendlich Wachsen auf einem endlichen Planet nicht möglich sei. Und zwar, indem es, basierend auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, möglichst genau quantifiziert, wie gross die Belastungsgrenzen sind. Das soll uns – die Gesellschaft, die Wirtschaft, einzelne Unternehmen oder auch einzelne Individuen – dazu befähigen, unsere Aktivitäten so auszugestalten, dass wir uns innerhalb dieser Grenzen bewegen können.

Die Krux dabei: Es ist äusserst aufwendig und bis heute teilweise nicht möglich, diese Grenzen quantitativ zu bestimmen. Die grössten Herausforderungen sind:

  • Für einzelne der neun Grenzen fehlt es an genügend Daten oder Kenntnissen, um sie überhaupt quantifizieren zu können, so für die Belastung der Atmosphäre mit Aerosolen oder für die Unversehrtheit der Biodiversität (Teilaspekt funktionale Diversität).

  • Bei der Grenze «Neue Substanzen» handelt es sich um eine Ansammlung verschiedener Stoffklassen (wie Schwermetalle, radioaktive Elemente, Nanomaterialien oder Mikroplastik). Sie lassen sich nicht sinnvoll mit einer einzigen Zahl zusammenfassen.

  • Lediglich beim Klimawandel (Ausstoss von Treibhausgasen, CO2-Konzentration in der Atmosphäre) lässt sich die noch akzeptable Belastung durch einen einzelnen globalen Wert beschreiben. Bei allen anderen Grenzen sind nur eine regionale oder lokale Betrachtung und Quantifizierung sinnvoll. Die Wassernutzung kann in Land A die kritische Grenze überschritten haben, im Land B aber noch unproblematisch sein. Daraus einen Mittelwert zu bilden und beispielsweise zu folgern, dass die Situation insgesamt noch in Ordnung ist, würde zu einem falschen Bild führen, weil eben in Land A Handlungsbedarf besteht.

Trotz dieser Herausforderungen existieren mehrere Ansätze und Methoden, um den Gedanken, der hinter den planetaren Grenzen steckt, auf verschiedene Ebenen herunterzubrechen. Dabei werden allerdings nicht immer dieselben Belastungsindikatoren verwendet wie beim Konzept der planetaren Grenzen.

Regionale Betrachtungen: Auf der Webseite «A good life for all within the planetary boundaries» der University of Leeds werden länderspezifische Daten gesammelt, mit denen berechnet werden kann, wo einzelne Länder in Bezug auf ihre planetaren Grenzen stehen. Diese Daten lassen sich untereinander vergleichen und zudem in Relation setzen zum Entwicklungsniveau, das ein Land erreicht hat.

Planetare Grenzen auf persönlicher Ebene: Hier bietet sich die Berechnung des individuellen ökologischen Fussabdrucks an, der hauptsächlich auf dem Ressourcenverbrauch basiert, der durch den Konsum hervorgerufen wird. Der WWF stellt einen solchen Footprint-Rechner zur Verfügung. Er zeigt auf, in welchen Lebensbereichen Verbesserungspotenzial besteht. In Ländern mit einem generell hohen Entwicklungsniveau und Ressourcenverbrauch wie der Schweiz ist es einem einzelnen Menschen allerdings nicht möglich, den eigenen Ressourcenverbrauch soweit zu reduzieren, dass er damit die planetaren Grenzen respektieren würde. Allein die Nutzung der bereits vorhandenen Infrastruktur, die man als Individuum nicht komplett verhindern kann, führt zu einer Überschreitung der Grenzen.

Planetare Grenzen für Unternehmen: Hier konnte sich in den letzten Jahren die Science Based Targets initiative (SBTi) etablieren. Sie unterstützt Unternehmen dabei, ihre Geschäftstätigkeiten so umzugestalten, dass sie am Ende in einer Nettobetrachtung keine CO2-Emissionen mehr ausstossen (Netto-Null-Emissionen). Handelten alle Unternehmen danach, könnten die Klimaziele weltweit erreicht werden. Neben der SBT-Initiative existiert das SBT-Netzwerk (SBTN), das dieselben Ziele für weitere kritische Ressourcen wie Land oder Wasser verfolgt. Allerdings fehlen hier noch die Kenntnisse und Methoden, die für eine Operationalisierung bis auf Unternehmensebene notwendig wären.

Selbst wenn wir die Grenzen kennen, bleibt die Frage der Verteilung: Wer – welches Land, welches Unternehmen, welches Branche oder welches Individuum – darf wie viel von einer Ressource brauchen oder wie viele Schadstoffe ausstossen, wenn eine obere Grenze besteht? Erhält am meisten, wer am meisten bezahlt? Oder erhalten alle gleich viele Anteile? Oder erhält derjenige mehr, der schon immer mehr erhalten hat? Beim Klimaschutz zum Beispiel ist das eine (erst teilweise gelöste) Kernfrage. Wir wissen zwar, wieviel CO2 die gesamte Menschheit noch ausstossen darf, aber wir verhandeln und streiten seit Jahren darüber, welches Land seinen Ausstoss um wie viel reduzieren muss. Naturwissenschaftliche Kenntnisse helfen hier nicht weiter, die Ausmarchung ist eine rein politische Angelegenheit (siehe auch den Blogbeitrag zu Ressourcenbudgets).

Mein Fazit: Erstens: Das Konzept der planetaren Grenzen leistet einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der heutigen grossen Umweltrisiken und sollte in Politik und Wirtschaft etabliert werden. Zweitens: Für eine direkte Anwendung muss das Konzept noch weiterentwickelt werden; insbesondere braucht es akzeptierbare politische Verteilmechanismen.


Im nächsten Blog wird es um Glück gehen. Ein glückliches Leben zu führen statt unseren materiellen Wohlstand weiter zu steigern, wird von vielen als zentral angesehen, um aus den verschiedenen Umweltkrisen zu finden. Doch was ist Glück, und kann man Glück überhaupt messen? Unsere Antworten dazu erscheinen Anfang September.

 

Mehr zum Thema lesen: Es gibt sie, die planetaren Grenzen. NZZ, 1.4.2022


Kommentare zu diesem Beitrag? Gerne an ion.karagounis@wwf.ch oder über https://www.linkedin.com/in/ion-karagounis-1a623a173/


Bis jetzt erschienen im Rehtink-Blog:

bottom of page