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Mehr Effizienz nützt dem Klima nur bedingt


Ion Karagounis from WWF Switzerland

Es ist eines der Mantras unserer Zeit: Wir müssen effizienter werden! Die Produktion eines Autos, der Service im Restaurant, das tägliche Work-out, der Energieverbrauch beim Heizen: Wer das effizienter hinkriegt, ist leistungsfähiger, erfolgreicher, spart Geld und wird erst noch glücklich dabei.



Eine Frage der Perspektive


Doch hilft uns Effizienz tatsächlich dabei, ein besseres Resultat zu erzielen? Die Antwort lautet selbstverständlich Nein.

Solange es um Technik geht, kann man Effizienz messen, ziemlich genau sogar. Wie viel Energie benötigt ein Mixer, um einen Deziliter Rahm steif zu schlagen? Der Mixer, der weniger Energie braucht, ist effizienter. Sobald es jedoch um ökonomische Effizienz geht, wenn also die Frage nach den Kosten hinzukommt, wird Effizienz relativ – sie wird zu einer Frage der Perspektive. Bin ich Unternehmer und geht es um die Kosten meines Betriebes? Oder nehme ich eine volkswirtschaftliche Sicht ein und versuche, die Wirtschaft eines Landes als Ganzes effizienter auszugestalten?

Eine Firma ist dann erfolgreich, wenn sie ihre Kosten senkt. Dazu rationalisiert und automatisiert sie Arbeitsabläufe, reduziert Lagervolumen und setzt auf kostengünstige Zulieferer. Das ist normal, dafür kann man keinem Unternehmen einen Vorwurf machen. Doch ebenso wichtig: Das Unternehmen lagert einen Teil seiner Kosten an die Allgemeinheit aus (lies auch diesen Blogbeitrag dazu). Dazu zählen Gesundheitskosten, wenn immer mehr Angestellte wegen stressbedingter Krankheiten ausfallen, oder Umweltkosten, wenn bei der Produktion Böden, Gewässer und Luft verschmutzt werden. Was betriebswirtschaftlich effizient ist, belastet die Allgemeinheit. Viele Entscheide fielen komplett anders aus, wenn eine übergeordnete Sichtweise eingenommen würde.

In Bezug auf die Umwelt wird im Streben nach ökonomischer Effizienz viel Unsinn angerichtet. Wir alle kennen die Beispiele von Lebensmitteln, die über die halbe Welt hin- und hertransportiert werden. Da sind die Tomaten, die in China gezogen und in Italien zu Tomatenmark verarbeitet werden, oder die Cashew-Nüsse, die in Afrika gepflückt und nach Asien transportiert werden, bevor sie nach Europa gelangen. Dies nur, weil die in Vietnam aufgebaute Industrie die Nüsse billiger als alle anderen verarbeitet.



Marktkräfte sind keine Naturkonstanten


Für die Umwelt ist das offensichtlich keine gute Lösung, denn die weiten Transporte – meist mit dieselbetriebenen Schiffen oder Lastwagen – belasten sie massiv. Wir träumen zwar gerne von Win-win-Lösungen, von denen Ökonomie und Ökologie gleichermassen profitieren. Tatsächlich aber passiert oft das Gegenteil.

Jedes Mal, wenn ein solcher Irrsinn publik wird, kommt der Ruf nach Einschränkungen. «So spielen eben die Marktkräfte», argumentieren die Verfechter der freien Marktwirtschaft achselzuckend, «sie sorgen dafür, dass die wirtschaftlich effizienteste Lösung gewählt wird. Da sollte man sich nicht einmischen.» Doch sie irren: Im Gegensatz zur technischen oder zur ökologischen ist wirtschaftliche Effizienz weder gottgegeben noch unterliegt sie unverrückbaren Naturgesetzen. Sie ist formbar. Je nach regulatorischen Rahmenbedingungen entwickeln sich die Marktkräfte und damit verbunden die wirtschaftliche Effizienz in eine andere Richtung.

Zurück zu den Cashewnüssen: Führte man, wie es Ökonominnen und Ökologen schon lange fordern, eine CO₂-Abgabe auf Schiffsdiesel ein, dann würde der Transport über die Weltmeere plötzlich massiv teurer. Die Nüsse reisten nach ihrer Ernte in Afrika umweltschonend direkt nach Europa, weil dieser Weg nun der ökonomisch effizientere wäre.

Damit es so weit kommt, braucht es die Politik. Nur sie kann dafür sorgen, dass sich die Spielregeln ändern. Doch offensichtlich fällt es unseren Politikern schwer, die Rahmenbedingungen zu ändern – lieber verlassen wir uns auf technische Massnahmen. Mit diesen waren wir in den letzten Jahrzehnten durchaus erfolgreich: Wir haben den Wasserverbrauch von Waschmaschinen gesenkt oder den Stromverbrauch für die Beleuchtung. Wir haben den Schadstoffausstoss von Kehrichtverbrennungsanlagen reduziert, genauso wie die Emissionen von flüchtigen organischen Kohlenstoffen bei der Herstellung von Farben oder den Einsatz von schädlichen Pestiziden in der Landwirtschaft.



Wir optimieren die zweitbeste Lösung


Trotzdem stellt sich die Frage: Investieren wir in die richtigen Lösungen? Leider muss man feststellen: Wir sind Profis im Optimieren der zweitbesten Lösung. Statt Abfälle zu vermeiden, optimieren wir Verbrennungstechnologien und unser Recyclingwesen. Statt Häuser zu isolieren, optimieren wir unsere Ölbrenner und unser Temperaturmanagement in Gebäuden mit aufwendiger Mess- und Regelungstechnik.

Krampfhaft haben wir in den vergangenen Jahrzehnten versucht, den Spritverbrauch und damit die Kohlendioxid-Emissionen unserer Verbrenner zu senken. Die Erfolge sind bescheiden, denn gleichzeitig wurden unsere Autos immer schwerer. Als Volkswagen im Jahr 1974 den ersten Golf auf den Markt brachte, wog er zwischen 790 und 930 Kilogramm und brauchte rund 9 bis 10 Liter Benzin auf hundert Kilometer. Der aktuelle Golf wiegt zwischen 1255 und 1555 Kilogramm und verbraucht zwischen 4,5 und 7,3 Litern. Seine Kohlendioxid-Emissionen liegen pro gefahrenen Kilometer nach wie vor bei der Hälfte bis zwei Dritteln des ursprünglichen Modells – und das nach fünfzig Jahren Weiterentwicklung!

Das alles ist dürftig und wird unsere Umweltprobleme nicht lösen. In den Worten des US-Ökonomen Peter F. Drucker: «Nichts ist weniger effizient, als etwas effizienter zu machen, was überhaupt nicht gemacht werden sollte.»

Ein Verbrennungsmotor wird immer Kohlendioxid ausstossen, selbst wenn er effizienter wird. Das Klimaproblem werden wir nur lösen, wenn wir komplett auf elektrisch betriebene Fahrzeuge umstellen und sie mit erneuerbarem Strom speisen. Diese haben einen weiteren Vorteil: Ihr Wirkungsgrad ist grösser als bei benzinbetriebenen Motoren. Sie wandeln rund 65 Prozent der ursprünglich aufgewendeten Energie in Bewegung um, während es beim Verbrenner erbärmliche 20 Prozent sind.

Doch mit den Elektrofahrzeugen ist das Ende der Fahnenstange noch lange nicht erreicht: Wirklich effizient in Bezug auf den Umwelt- und Ressourcenverbrauch sind Massenverkehrsmittel wie Busse oder Schienenfahrzeuge sowie das Fahrrad.



Grosse Sprünge bleiben möglich


Wir Menschen hoffen gerne auf die grossen Erfindungen, die uns all unsere Probleme vom Hals schaffen. Grosse Sprünge sind tatsächlich möglich – jedoch nur, wenn wir umfassende, systembezogene Ansätze wählen, die weit über rein technische Massnahmen hinausgehen.

Dabei bleibt technische Effizienz wichtig. Sie findet dort ihren Platz, wo wir heute offensichtlich Ressourcen und Energie verschwenden. Denken wir an die Unzahl von Gebäuden in der Schweiz, die immer noch nicht isoliert sind. Ebenso ist es in der Regel vielversprechend, bei noch jungen Technologien die Effizienz zu steigern. Dazu zählen die Batterien. Es wird erwartet, dass sich ihre Energiedichte in den nächsten rund zehn Jahren verdoppeln wird – um mit einem Auto die gleiche Distanz zurücklegen zu können, müssten sie nur noch halb so schwer sein. Die technische Effizienz zu steigern ist zudem sinnvoll, wenn dafür auf neue Infrastrukturbauten verzichtet werden kann: Es ist besser, in einem Einzugsgebiet den Wasserverbrauch mit technischen Massnahmen zu senken, statt für viel Geld neue Grundwasserpumpwerke und Zuleitungen zu bauen.



Mein Fazit: Erstens: Allein mit Bemühungen für mehr Effizienz werden wir die Klima- und die Biodiversitätskrise nicht lösen können. Zweitens: Effizienz hat ihren Platz in der Lösungssuche, an erster Stelle stehen aber umfassende, systembezogene Ansätze.



Der nächste Blogbeitrag wird im Oktober erscheinen.


Eine ausführlichere Version dieses Beitrags kann hier gelesen werden.


Lesetipp: Im neuen Roman «Was wir hinterlassen» von Ion Karagounis streiten sich die Protagonisten über die Konsumgesellschaft, die Klimakrise und die vielen anderen Probleme, mit denen sich die Menschen gerade herumschlagen.


Bis jetzt erschienen im Rethink-Blog:

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